Queen Elizabeth II. ist tot – eine Epoche geht zu Ende (2024)

Die britische Königin ElizabethII. ist am Donnerstag im Alter von 96 Jahren verstorben. Dies teilte der Buckingham-Palast mit. Sie verkörperte Stabilität und Kontinuität in einer Epoche, in der sonst wenig Bestand hatte.

Beat Bumbacher

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Es gibt unter den britischen Monarchen wohl nur einen Vergleich, der sich für Königin Elizabeth II. heranziehen lässt: ihre Ururgrossmutter Königin Victoria, die am Ende ihres Lebens zur Namensgeberin eines ganzen Zeitalters wurde. Auch für Elizabeth II. gilt, dass die meisten der heute lebenden Briten nie ein anderes Staatsoberhaupt als die jetzt verstorbene Königin erlebt haben. Unweigerlich stellt sich die Frage, wie die Institution Monarchie im Vereinigten Königreich überhaupt vorstellbar ist ohne die Person, in der alle Macht des Souveräns theoretisch vereinigt wurde, während sie faktisch machtlos war.

Als die junge Monarchin 1953 gekrönt wurde, hiess der britische Premierminister Winston Churchill. In Grossbritannien waren die Rationierungen aus dem Zweiten Weltkrieg noch nicht ganz aufgehoben. Indien war erst wenige Jahre zuvor in die Unabhängigkeit entlassen worden, das Kolonialreich umfasste aber noch immer weite Teile Afrikas. Dies mag die immense Spannweite der Zeitgeschichte erahnen lassen, welche die 70 Jahre der Regentschaft von Elizabeth II. umfasst – der längsten eines britischen Monarchen überhaupt.

Würde war Pflichtprogramm

Zum Zeitpunkt ihrer Thronbesteigung während der kargen und grauen Nachkriegsjahre war noch die hochgesteckte Hoffnung auf ein zweites elisabethanisches Zeitalter weit verbreitet. In den Jahrzehnten danach prägten jedoch der Abschied von der eigenen Weltmachtstellung, der schwierige Prozess der Anpassung an die Rolle einer europäischen Mittelmacht, ein beispielloser gesellschaftlicher Veränderungsprozess und am Ende gar die Zerreissprobe des Brexits die britische Geschichte.

Inmitten dieses epochalen Wandels blieb die Königin stets als Symbol der nationalen Identität eine verlässliche Konstante. Mit einem Pflichtbewusstsein, das seinesgleichen suchte, erfüllte sie ihre unzeitgemässe Aufgabe als Staatsoberhaupt auf Lebenszeit. Kritiker mochten ihre Rolle als rein symbolisch abtun. Doch gerade in Zeiten, in denen der gesellschaftliche und kulturelle Umbruch viele ihrer «Untertanen» überforderte, bewies eine scheinbar anachronistische, gegen politische Moden immune Institution aus der Zeit des Gottesgnadentums ihre fortdauernde Anziehungskraft.

Die grundlegende Erklärung für das verblüffende Beharrungsvermögen der britischen Monarchie hat schon im 19.Jahrhundert der Verfassungstheoretiker Walter Bagehot formuliert: Der König oder die Königin sei in Grossbritannien für den «würdevollen» Aspekt der Herrschaftsausübung zuständig, der Premierminister und seine Regierung dagegen für den «effizienten». Diesem sehr speziellen Konzept einer Art Arbeitsteilung an der Spitze des Staates hat Elizabeth II. geradezu idealtypisch nachgelebt.

Gleichmut und Entrücktheit

Zusätzlich hat sie Fehler ihrer Vorgänger auf dem Thron mit einer Instinktsicherheit, die sie nur selten im Stich liess, vermieden. Dies half ihr bei der Erfüllung ihrer erweiterten Rolle als nominelles Staatsoberhaupt von Ländern wie Australien oder Kanada. Es leitete sie auch bei der Ausübung der ihr persönlich wichtigen Funktion als Oberhaupt des Commonwealth, jenes höchst disparaten Verbandes von ehemaligen Kolonien des Empire.

Um den Anforderungen ihres Amtes gerecht zu werden, entwickelte Elizabeth II. die Fähigkeit bis zur Perfektion, die grossen wie die kleinen Aufgeregtheiten des Tages mit einer Gleichmut zu ertragen, die sie von der Gegenwart entrückt erscheinen liess. Der Preis war, dass diese eigentümlich distanzierte Haltung in der Öffentlichkeit mitunter als Gleichgültigkeit, Gefühlskälte oder mangelnder Bezug zur Realität interpretiert wurde.

Moderne Konzepte der individuellen Selbstverwirklichung hatten für sie niemals Geltung, seit sie als Kind nach dem Rücktritt ihres Onkels Edward VIII. unerwartet in die direkte Thronfolge ihres Vaters George VI. gerückt war. Der ihr zugefallenen Aufgabe der Monarchin hat sie sich, bedingt durch den frühen Tod ihres Vaters, schon in jungen Jahren so kompromisslos verschrieben, dass ihre Persönlichkeit mit ihrer Funktion zunehmend eine unauflösliche Einheit bildete.

Die Queen bewahrte immer die Ruhe und stillte damit das Bedürfnis nach Stabilität und Kontinuität in einer Epoche, in der nur weniges noch Bestand zu haben schien. Für viele ihrer Untertanen wurde sie zu einer Art Projektionsfläche, auf der sich die eigenen unerfüllbaren Wünsche nach Würde und angemessener Lebensführung spiegelten.

Ein Rest von Mysterium

Dies machte Elizabeth II. unter den verbliebenen europäischen Monarchen zu einer singulären Ausnahmeerscheinung, der nicht nur Nicht-Briten mit einer Mischung aus Bewunderung und Befremden gegenüberstanden. Diese scheinbare Unzeitgemässheit trug das Ihre dazu bei, der britischen Monarchie in einem zutiefst profanen Zeitalter einen Rest von Mysterium zu erhalten. Dieses benötigt sie, um nicht als reiner Zeremonienmeister des Staates und Objekt der Boulevardmedien zu erscheinen. Auch dies hatte Bagehot schon vor anderthalb Jahrhunderten erkannt, als er mit Blick auf die Rolle des Monarchen eindringlich vor einer Entzauberung derselben warnte: «We must not let in daylight upon magic.»

Die demonstrative Korrektheit und Diskretion der Königin, die praktisch keinen Moment des Menschlich-Allzumenschlichen zuliess, stand nach den sechziger Jahren immer stärker im Kontrast mit dem Verhalten ihrer Kinder, denen das Finden einer passenden Rolle weitaus schwerer fiel. Die Medienaufmerksamkeit, welche sie auf sich zogen, war allerdings auch eine unbeabsichtigte Spätfolge der Öffentlichkeitsarbeit des Palastes. Dieser hatte zu Beginn der Regentschaft Elizabeths Bilder der königlichen Familie auch aus dem privaten Bereich erstmals bewusst zur Imageförderung der Monarchie eingesetzt.

Diese Entwicklung drohte in den letzten Jahrzehnten von Elizabeths Regentschaft immer unkontrollierbarer zu werden. Einer Phase der Stabilisierung nach der Massenhysterie beim Tode von Prinzessin Diana folgte zuletzt die Aufregung um Prinz Harry und Meghan, die aus ihrem amerikanischen Exil Giftpfeile gegen das Königshaus schickten – die aber die Königin selber bezeichnenderweise von ihrer Kritik ausnahmen.

Der Stammbaum der Royal Family

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NZZ / lea.

Beispiellose Diskretion

Der Königin dürfte bei aller Traditionsverbundenheit immer bewusst gewesen sein, dass letztlich auch die Monarchie nicht mehr ohne ein Mandat des Volkes auskommt. Die ungeschriebene Verfassung Grossbritanniens erhält die Fiktion aufrecht, wonach die realen Machtträger – von der Regierung über das Parlament bis zu den Gerichten – formell nur Beratungsorgane des Staatsoberhaupts sind und immer nur in dessen Namen ihre Entscheidungen fällen. Die effektiven Kompetenzen des Monarchen sind dagegen längst auf das formale Recht, den Premierminister zu ernennen und wöchentlich mit diesem ein vertrauliches Gespräch zu führen, zusammengeschrumpft.

Selbst dabei hatte sich die Queen immer an Traditionen zu halten, die ihr kaum Spielraum liessen. Zu ihren Stärken gehörte es, sich auf dieses komplexe verfassungsrechtliche Arrangement scheinbar mühelos einzulassen. Fast alle Reden und Ansprachen, die sie hielt, waren von der jeweiligen Regierung verfasst. Die Queen war deshalb im Grunde nichts anderes als deren Sprecherin. Über ihre eigenen Ansichten zu den Themen der Zeit liess sich nur spekulieren. Die Queen, die nie in ihrem Leben ein Interview gegeben hat, hat sich anders als ihr Sohn Charles immer davor gehütet, zu Fragen öffentlich Stellung zu nehmen, die Gegenstand von Kontroversen sein könnten.

Es blieb immer ein gut gehütetes Geheimnis der direkt Beteiligten, was sie mit ihren Premierministern unter vier Augen jeweils besprochen hat. Berichte zum Beispiel über Meinungsverschiedenheiten mit Premierministerin Thatcher – derjenigen ihrer Regierungschefs, die am ehesten mit dem Grundkonsens der Nachkriegsjahrzehnte zu brechen bereit schien – wurden von beiden Seiten stets dementiert. Immerhin erscheint plausibel, dass nach all den Jahrzehnten auf dem Thron die Königin die jeweiligen Amtsträger in der Downing Street in vielen Belangen an Dossierkenntnissen übertraf.

Königin Elizabeths Einfluss auf die Politik irgendwie bemessen zu wollen, muss zwangsläufig scheitern. Ihn als bedeutungslos zu taxieren, wäre aber ebenso ein Fehler. Und wenn – wie in jüngster Zeit zu beobachten – das Vertrauen in die Politiker an der Regierungsspitze im Schwinden begriffen ist, stärkt dies umgekehrt das Gewicht eines Staatsoberhaupts, das stets über der Politik gestanden hat und die Kontinuität der Nation als solche repräsentiert.

Republikaner ohne Chancen

Wenn der Begriff Erfolg hier überhaupt eine Bedeutung haben kann, so dürfte ein Befund die positive persönliche Bilanz der Königin am deutlichsten belegen: Die kleine Lobby von Republikanern im Vereinigten Königreich, die sich die Abschaffung der Monarchie auf ihre Fahnen geschrieben hat, blieb immer vollkommen chancenlos. Selbst für die eifrigsten Befürworter der schottischen Unabhängigkeit stand immer fest, dass die Queen auch nach der Sezession Schottlands Staatsoberhaupt sein sollte. Die grossmehrheitliche Zustimmung zur Monarchie als genuin britischer Staatsform ist auch im 21.Jahrhundert ungebrochen.

Für den neuen König macht dies die Aufgabe keineswegs einfacher. Denn hinter der Akzeptanz der scheinbar so unzeitgemässen britischen Monarchie dürfte sich in hohem Masse die Zustimmung zur Person von Elizabeth II. und zu ihrer Amtsführung verborgen haben. Der Thron ist vererbbar, nicht aber der Respekt vor dem Monarchen.

Der Tod der Königin fällt in eine Phase, in der nach all den Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte die britische Identität zunehmend fragil erscheint. Das Empire, die Navy, die einst die Meere beherrschte, die Aristokratie, die alte Klassengesellschaft und die anglikanische Kirche sind entweder Vergangenheit oder nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der EU-Austritt des Landes steigert zusätzlich die Ungewissheit über das, was die Zukunft bringen wird. Mit dem Tod von Königin Elizabeth II. geht unweigerlich eine Epoche Grossbritanniens zu Ende.

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