Wirtschaft Soziale Netzwerke
Das bedeutet das EU-Verfahren gegen X
| Lesedauer: 4 Minuten
Von Benedikt Fuest
Korrespondent für Innovation, Netzwelt und IT
Die EU-Kommission eröffnet ein Verfahren gegen Elon Musks soziales Netzwerk X. Binnenmarktkommissar Thierry Breton findet gleich drei Anklagepunkte. Doch eigentlich ist er für den von ihm angetrieben Kampf gar nicht verantwortlich. Kritiker sehen ein politisches Kalkül.
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EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton setzt seine Drohung gegen Elon Musks soziales Netzwerk X aus dem Oktober um: Er verkündete heute – ausgerechnet via X – dass die EU ein Verfahren gegen X eröffnet. Drei Anklagepunkte nannte der Kommissar dabei: Es bestehe der Verdacht auf einen Verstoß gegen die Pflichten zur Bekämpfung von illegalen Inhalten und Desinformation.
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Zudem vermute Breton einen Verstoß gegen Transparenzpflichten. Zuletzt will die EU auch aufgrund von trügerischem Design der Benutzeroberfläche gegen X vorgehen. Zentrales Anliegen der Untersuchung sei „die Verbreitung illegaler Inhalte im Zusammenhang mit den Terroranschlägen der Hamas gegen Israel“, verkündeten Bretons Ermittler am Montag bei der Vorstellung des Verfahrens.
X ist damit die erste Plattform, die von der EU nach dem Digital Services Act reguliert werden soll. „Die heutige Eröffnung des formellen Verfahrens dagegen macht deutlich, dass mit dem DSA die Zeit der großen Online-Plattformen, die sich so verhalten, als wären sie ‚too big to care‘, zu Ende ist“, kommentierte Breton das Verfahren. Digitalkommissarin Margrethe Vestager fügte hinzu, man nehme „jeden Verstoß gegen unsere Regeln sehr ernst. Und die Beweise, die wir derzeit haben, reichen aus, um offiziell ein Verfahren gegen X einzuleiten.“
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Das Online-Sicherheitsteam des sozialen Netzwerks reagierte prompt. Man sehe sich „zur Einhaltung des Digital Services Act verpflichtet.“ Dabei sei wichtig, „dass der Regulierungsprozess frei von politischer Einflussnahme bleibt und dem Gesetz folgt.“
Musk hatte Moderationsteams zusammengestrichen
Bereits Anfang Oktober hatte Breton angesichts von Hamas-Propagandabildern auf X in einem Schreiben an Elon Musk den Anfangsverdacht geäußert, dass das soziale Netzwerk seinen Moderationsverpflichtungen nicht nachkomme. Musk hatte nach seiner Twitter-Übernahme im vergangenen Jahr die Moderationsteams zusammengestrichen und insbesondere in Europa ausgedünnt. Auf Bretons Anstoß hatte er eher patzig reagiert, Breton hatte daraufhin eine Beweisaufnahme gestartet und umfangreiche Fragen an X gestellt.
Der Digital Services Act (Gesetz über digitale Dienste) der EU wurde bereits Ende 2022 verabschiedet, ist aber in Teilen noch gar nicht anwendbar. Das Gesetz gibt Bretons Social-Media-Regulierern weitreichende Rechte zur Inhalte-Moderation in sozialen Netzwerken.
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Unter anderem steht in dem Gesetz, dass die EU in Krisenlagen von großen Social-Media-Plattformen verlangen kann, Inhalte zu löschen oder deren Sichtbarkeit zu begrenzen, unabhängig davon, ob diese wahr sind oder nicht. Die EU zweifelt augenscheinlich daran, ob X dazu nach Musks Sparmaßnahmen in der Lage ist.
Verfahren könnte länger dauern
Die Kommission will nun zunächst Beweise sammeln. Allerdings könnte sie einstweilige Vollstreckungsmaßnahmen gegen X einleiten, während das Verfahren läuft. Eine Frist dafür gibt es nicht.
Doch das Verfahren könnte durchaus länger dauern – denn bislang fehlt der EU die Infrastruktur zur Überwachung des Digital Services Act. Eigentlich ist es nicht Bretons Aufgabe, die EU-Ermittler persönlich in den Kampf mit X zu führen. Stattdessen sollen nach der Verabschiedung des Gesetzes zunächst die EU-Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene Koordinierungsstellen schaffen. In Deutschland soll diese Aufgabe die Bundesnetzagentur übernehmen, noch ist der entsprechende Gesetzentwurf aber gar nicht verabschiedet.
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Breton stößt mit seinem schnellen Vorgehen also in eine Art Regulierungs-Vakuum – und kann sich als Macher positionieren. Die EU-Mitgliedstaaten können erst mitregulieren, wenn die entsprechenden Behörden aufgesetzt sind. Ob die Kommission bis dahin selbstständig vorgehen darf, wie es Breton aktuell tut, ist strittig.
Kritiker Bretons hatten bereits im Oktober kommentiert, dass der Franzose die Gelegenheit nutzt, sich für die Wahl der kommenden Kommissionspräsidentschaft als starker Mann zu positionieren.
X ist nicht das einzige soziale Netzwerk in Brentons Visier. Im Oktober hatte er ebenfalls bereits Fragebriefe an TikTok, Facebook und Instagram sowie YouTube verschickt. Sie alle sollten sich rechtfertigen. Dass nun X als erste Plattform untersucht wird, könnte bedeuten, dass Musks Antworten die EU nicht zufriedenstellten. Die anderen Netzwerke können allerdings nicht aufatmen: Auch ihnen droht ein entsprechendes Verfahren, sollten sie aus Sicht der EU nicht ausreichend gegen Desinformation vorgegangen sein.